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Romantische Liebe ohne Sex – Möglich oder Lüge? Was sagt die Wissenschaft?


Ein Paar sitzt eng beieinander und schaut auf einen Sonnenuntergang über einem ruhigen Fluss.“

In der Body-Mind-Therapie unterscheiden wir viele innere Anteile in der Liebe. Hier ist es wichtig, zwischen dem "inneren Tier", das für Fortpflanzung und sexuelles Verlangen zuständig ist, und dem liebevollen Partner-Anteil, der für ästhetische und romantische Liebe verantwortlich ist, zu differenzieren.

Doch darüber hinaus gibt es weitere innere Aspekte, die unsere Liebeserfahrungen prägen: den "inneren Freund", der für tiefe Freundschaft und Verbundenheit steht, das "innere Kind", das nach spielerischer, bedingungsloser Liebe sucht, und die "innere Mutter", die elterliche Fürsorge und Bindung symbolisiert.


Diese verschiedenen inneren Teile beeinflussen, wie wir Liebe erleben und welche Form von Verbindung wir mit anderen Menschen eingehen. Sie spiegeln sich nicht nur in der psychologischen Arbeit wider, sondern auch in der Neurowissenschaft.

Forschungen belegen, dass romantische Liebe und sexuelles Verlangen unterschiedliche Prozesse im Gehirn aktivieren. Doch bedeutet das, dass eine romantische Beziehung ohne sexuelle Anziehung möglich ist? Oder belügen sich Menschen, wenn sie behaupten, Liebe ohne Sex zu empfinden?



Liebe und Sex im Gehirn – Zwei Systeme mit Überschneidungen


Die Neurowissenschaftler Zeki & Romaya (2010) untersuchten, wie das Gehirn auf ästhetische Schönheit und sexuelles Verlangen reagiert. Ihre Studie zeigte, dass das Betrachten eines attraktiven Gesichts den medialen orbitofrontalen Kortex (mOFC) aktiviert – ein Bereich, der mit der Wahrnehmung von Schönheit und positiven Emotionen verbunden ist.

Sexuelles Verlangen hingegen aktiviert zusätzlich den Hypothalamus, der für hormonelle Steuerung und Triebverhalten verantwortlich ist.


Diese Erkenntnis unterstützt die Idee, dass romantische Liebe nicht zwangsläufig mit sexuellem Begehren einhergehen muss. Während das eine eher im ästhetischen Erleben und in emotionaler Bindung wurzelt, basiert das andere stärker auf instinktiven Trieben.


Romantische Liebe ohne sexuelles Verlangen – Lisa M. Diamonds Forschung


Lisa M. Diamond (2003) befasste sich intensiv mit der Frage, ob romantische Liebe unabhängig von sexuellem Verlangen existieren kann. In ihrer Forschung zur "sexual fluidity" fand sie heraus, dass besonders bei Frauen emotionale Nähe oft wichtiger ist als rein körperliche Anziehung. Menschen können tiefe romantische Gefühle für eine Person entwickeln, ohne sexuelles Begehren zu verspüren.


Diamond unterscheidet zwischen zwei Systemen:


1.   Das Bindungssystem, das mit Liebe, Nähe und emotionaler Sicherheit verknüpft ist.

2.   Das sexuelle System, das körperliches Verlangen und Fortpflanzung motiviert.

Diese beiden Systeme können miteinander verbunden sein, aber sie können auch unabhängig voneinander existieren.

Das bedeutet: Romantische Liebe ohne Sex ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht nur möglich, sondern ein häufiges Phänomen.


Die Vielfalt der Liebe – Was andere Studien zeigen


Weitere Forschungen bestätigen, dass verschiedene Formen der Liebe unterschiedliche Gehirnregionen aktivieren:


  • Romantische Liebe zeigt starke Aktivität im Belohnungssystem des Gehirns (Dopaminfreisetzung), aber nicht zwangsläufig in den Bereichen, die sexuelles Verlangen steuern (Bartels & Zeki, 2000).


  • Platonische Liebe und enge Freundschaften ("innerer Freund") aktivieren ähnliche Bindungsmechanismen wie romantische Liebe, jedoch ohne die starke Aktivierung des Hypothalamus (Acevedo et al., 2012).


  • Elterliche Liebe ("innere Mutter") ruft eine einzigartige Kombination von Belohnungs- und Bindungsnetzwerken hervor, die sowohl Fürsorge als auch Schutzverhalten steuern (Feldman, 2017).


  • Kindliche Liebe und das Bedürfnis nach Geborgenheit ("inneres Kind") beeinflussen ebenfalls die Art, wie Menschen Bindungen eingehen. Die Aktivierung ähnelt oft der elterlichen Liebe, da hier das Bedürfnis nach Sicherheit und Trost im Vordergrund steht.


Fazit: Eine Frage der individuellen Erfahrung


Die wissenschaftliche Forschung zeigt klar: Romantische Liebe und sexuelles Verlangen sind nicht dasselbe. Während sie oft zusammen auftreten, sind sie neurologisch und psychologisch unterscheidbare Prozesse.

Es gibt viele Menschen, die intensive, romantische Liebe empfinden, ohne sexuelles Verlangen zu verspüren – sei es aufgrund persönlicher Orientierung (z. B. asexuelle Personen), individueller Lebensphasen oder einer tiefen emotionalen Bindung, die unabhängig von körperlicher Anziehung besteht.


Das Konzept der inneren Anteile zeigt, dass Liebe nicht nur durch sexuelle Anziehung definiert wird. Manche Beziehungen beruhen auf der Energie des "inneren Freundes", andere aktivieren das "innere Kind" mit spielerischer, unbedingter Liebe, und wieder andere spiegeln die Fürsorge der "inneren Mutter" wider.


Die Vorstellung, dass Liebe ohne Sex eine Lüge sei, ist also ein kulturelles Narrativ, das nicht mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen übereinstimmt. Letztlich ist Liebe so vielfältig wie die Menschen, die sie erleben – mit oder ohne Sexualität.

 


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