Kontrolle in Beziehungen – Die falsche Lösung für Unsicherheit
- Enrico Fonte
- vor 2 Tagen
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Wie die Maske der Kontrolle die unsichere Bindung des inneren Kindes in Beziehungen verdeckt – und wie Vertrauen die wahre Antwort sein kann
Kontrolle ist verführerisch. Sie gibt das Gefühl, alles im Griff zu haben, klare Grenzen zu setzen, das Chaos zu bändigen. Doch unter der Oberfläche zeigt sich oft etwas ganz anderes: Angst. Verlorenes Vertrauen. Die alte Wunde des „Ich bin nicht sicher, ob du bleibst.“ In der Bodymind-Arbeit erkennen wir: Kontrolle ist selten ein Ausdruck von Stärke. Sie ist der Versuch, etwas zu halten, das nie von außen gehalten werden kann – das eigene innere Bindungssystem.
Die Maske der Kontrolle
In intimen Beziehungen tritt Kontrolle nicht immer offensichtlich auf. Sie versteckt sich in Fragen wie:
„Mit wem schreibst du gerade?“
„Warum hast du gestern so spät geantwortet?“
„Ich will nur wissen, wo du bist.“
Auf den ersten Blick wirken solche Sätze wie Fürsorge. Doch in Wirklichkeit sind sie oft Ausdruck eines inneren Kindes, das sich verlassen fühlt. Kontrolle wird zur Maske, die diese Verletzbarkeit verdecken soll.
Und diese Maske ist lernfähig. Sie passt sich an. In manchen Beziehungen wird sie zu emotionalem Rückzug („Wenn ich dich nicht kontrollieren kann, dann brauche ich dich nicht mehr.“) In anderen wird sie zu subtiler Manipulation oder Vorwürfen.
Doch was sie nie schafft: Sicherheit.
Bindung beginnt im Körper
In der Bodymind-Therapie begegnen wir diesen Mustern nicht primär auf kognitiver Ebene, sondern im Körper. Ein unsicher gebundenes inneres Kind spüren wir als Spannung im Solarplexus, als Enge im Zwerchfell, als Kloß im Hals, wenn wir das Bedürfnis nach Nähe nicht ausdrücken können.
Oft hat das Nervensystem in früheren Beziehungen gelernt:
Nähe ist unberechenbar
Ich werde nur gesehen, wenn ich Leistung bringe.
Wenn ich loslasse, werde ich enttäuscht.
Diese Sätze sind im Gewebe gespeichert – sie halten uns in alten Reaktionsmustern. Kontrolle wird dann zur somatischen Reaktion auf Unvorhersehbarkeit. Sie fühlt sich körperlich wie Schutz an, ist aber in Wahrheit ein Panzer.
Die Illusion der Kontrolle
Wenn Kontrolle das Leitsystem bleibt, kreieren wir keine echte Beziehung, sondern eine Art inneres Sicherheitsprogramm. Es sagt: „Wenn ich alles weiß, kann mich nichts verletzen.“ Doch diese Logik ist falsch. Denn Kontrolle verhindert das, was echte Verbindung ausmacht: Vertrauen. Offenheit. Verletzlichkeit.
In Wahrheit verschärft Kontrolle das Gefühl von Getrenntsein. Der Versuch, alles zu wissen oder zu steuern, reduziert die Lebendigkeit der Beziehung. Statt zu vertrauen, beginnt ein Kreislauf aus Argwohn, Rückzug, Reaktion.
Vertrauen als Körperpraxis
Vertrauen ist kein Entschluss – es ist eine gelebte Erfahrung. Es beginnt dort, wo das Nervensystem Sicherheit spürt. Und genau hier setzt Bodymind-Arbeit an:
Atemräume schaffen im Brustkorb und Bauch
Erdung stärken durch Kontakt mit Boden, Beinen, dem eigenen Tempo
Alte Körpermuster von „Anspannung gleich Kontrolle“ erkennen und lösen
Die Erfahrung machen: Ich darf fühlen, ohne mich zu verlieren
Vertrauen heißt: Ich muss dich nicht festhalten, damit du bleibst. Ich kann dich spüren – und mir selbst dabei treu bleiben.
In Beziehungen bedeutet das:
Präsenz statt Kontrolle
Zuhören statt Interpretieren
Offenheit statt Testen
Sich zeigen, bevor man fordert
Kontrolle loslassen heißt nicht naiv sein
Viele verwechseln Vertrauen mit Blindheit. Doch echtes Vertrauen ist radikal ehrlich. Es spürt, wenn etwas unstimmig ist – und bringt das auf eine verbundene Weise zum Ausdruck. Kontrolle hingegen stellt Fragen, um sich zu schützen. Vertrauen stellt Fragen, um Nähe zu schaffen.
Bodymind-Ansätze wie das Arbeiten mit inneren Anteilen, mit Atem, mit somatischer Regulation bieten Werkzeuge, um diesen Übergang zu gestalten. Der Weg vom inneren Kind zur inneren erwachsenen Präsenz ist kein einmaliger Schritt – es ist eine Praxis. Aber es ist der einzige Weg, der echte Verbindung ermöglicht.
Das innere Kind in der erwachsenen romantischen Beziehung
Wenn die Kontrolle losgelassen wird, bleibt oft zuerst etwas anderes: Unsicherheit. Die Verantwortung dafür zu übernehmen heißt nicht, sich zu verurteilen – sondern sich liebevoll selbst ernst zu nehmen.
In einer reifen Beziehung darf das innere Kind seinen Platz haben. Es darf sagen: „Ich fühle mich gerade unsicher. Kannst du mir sagen, dass du da bist?“
Dieser Schritt ist nicht schwach, sondern mutig. Denn statt Kontrolle zu wählen, wählt er Verbindung. Doch was, wenn die Antwort nicht glaubwürdig erscheint? Wenn trotz ehrlicher Bestätigung Zweifel bleiben?
Dann lohnt es sich, auf zwei Ebenen zu schauen:
Wurde in der Beziehung tatsächlich Vertrauen verletzt? Gab es ein Ereignis, in dem Offenheit nicht geachtet wurde, Grenzen übergangen oder emotionale Nähe zurückgewiesen wurde? Dann ist der Zweifel vielleicht nicht das Problem des inneren Kindes, sondern ein Echo auf reale Enttäuschung. Hier braucht es Raum für ehrliche Klärung.
Oder reagiert ein alter Teil in Dir – geprägt von Bindungserfahrungen, die keine Verlässlichkeit kannten? Wenn die Unsicherheit nicht zu dem passt, was im Hier und Jetzt geschieht, könnte ein inneres Kind sprechen, das gelernt hat: „Zuneigung ist gefährlich.“ oder „Ich darf nicht zu viel brauchen.“ In diesem Fall kann die Bitte um Bestätigung trotzdem berechtigt sein – aber sie braucht eine innere Begleitung, nicht eine äußere Kontrolle.
Die Einladung ist also: Frag nach Bestätigung – aber nicht, um dein Gegenüber zu testen, sondern um Verbindung zu schaffen.
Und wenn Du zweifelst: Prüfe, ob dieser Zweifel ein Zeichen für vergangene Wunden ist – oder ob Dein Körper Dir sagt, dass etwas wirklich nicht stimmig ist. In beiden Fällen verdient Deine Erfahrung Raum, Mitgefühl und vielleicht therapeutische Begleitung.
Denn das Ziel ist nicht, mit Unsicherheit leben zu lernen – sondern sich nie wieder dauerhaft unsicher zu fühlen, weil Sicherheit zuerst in Dir selbst entsteht und dann in der Beziehung wachsen darf.