Karriere oder Beziehung? Was uns wirklich glücklich macht
- Enrico Fonte
- 16. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Ein Blick auf Ambition und Gender-Unterschiede

Die Studie von Judge und Kammeyer-Mueller (2012) liefert wertvolle Einblicke in die Frage, welche Rolle Ambition in unserem Leben spielt. Die Forscher:innen untersuchten über mehrere Jahrzehnte, wie ambitionierte Menschen beruflichen Erfolg, Einkommen und Lebenszufriedenheit erleben. Die Ergebnisse sind aufschlussreich – und werfen die Frage auf, ob Karriere oder Beziehungen tatsächlich das größere Gewicht haben.
Karriere oder Beziehung: Die Hauptergebnisse der Studie
Ambition und beruflicher Erfolg: Menschen mit hohen Ambitionen erreichten häufiger prestigeträchtige Positionen und erzielten ein höheres Einkommen. Es zeigte sich, dass der Wille, Hindernisse zu überwinden und Ziele zu verfolgen, oft messbare Erfolge bringt.
Ambition und Lebenszufriedenheit: Interessanterweise stellte die Studie fest, dass Ambition nicht zwangsläufig mit größerem Lebensglück einhergeht. Viele ambitionierte Menschen berichteten von Stress, Erschöpfung und einem Gefühl der Unzufriedenheit, trotz ihrer Erfolge.
Die Bedeutung von Balance: Beziehungen – sei es zu anderen oder zu sich selbst – spielten eine entscheidende Rolle für die Zufriedenheit. Menschen, die soziale Bindungen und persönliche Ausgeglichenheit priorisierten, fühlten sich langfristig erfüllter, unabhängig von ihrem beruflichen Erfolg.
Die Gender-Perspektive: Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Während die Studie sich nicht explizit auf Gender-Unterschiede konzentrierte, sind diese in der Praxis unübersehbar. Ambition wirkt sich auf Männer und Frauen unterschiedlich aus, was auf gesellschaftliche Normen, Rollenerwartungen und strukturelle Ungleichheiten zurückzuführen ist.
1. Karriere und Ambition: Die Rolle der Gesellschaft
Männer: Männer werden oft als "Ernährer" betrachtet, was sie gesellschaftlich dazu motiviert, beruflichen Erfolg und finanzielle Sicherheit zu priorisieren. Ambition bei Männern wird in der Regel positiv wahrgenommen und mit Führungsqualitäten assoziiert.
Frauen: Frauen, die ambitioniert auftreten, stoßen häufiger auf Vorurteile. Gesellschaftliche Erwartungen, die Frauen in der Rolle der "Fürsorgenden" sehen, können dazu führen, dass berufliche Erfolge weniger anerkannt werden. Ambitionierte Frauen werden teils als „aggressiv“ oder „unweiblich“ wahrgenommen.
2. Kinder und Karriere: Die sogenannte "Motherhood Penalty"
Frauen: Frauen, die sich für Kinder entscheiden, sehen sich oft mit der "Motherhood Penalty" konfrontiert – einer systematischen Benachteiligung im beruflichen Kontext. Dies umfasst Gehaltseinbußen, geringere Aufstiegschancen und die Erwartung, beruflich kürzerzutreten. Flexible Arbeitsmodelle sind oft unzureichend, was die Vereinbarkeit von Karriere und Familie erschwert.
Männer: Im Gegensatz dazu profitieren Männer häufig vom „Fatherhood Bonus“. Sie werden als stabiler und verantwortungsbewusster wahrgenommen, was ihre Karriere fördern kann. Gleichzeitig wird von Männern weniger erwartet, dass sie beruflich zurückstecken, um familiäre Pflichten zu übernehmen.
3. Hierarchie und Status
Frauen: Frauen finden sich durch gesellschaftliche Strukturen und fehlende Unterstützungssysteme häufig in niedrigeren Hierarchiepositionen wieder, selbst wenn sie ähnliche Qualifikationen wie ihre männlichen Kollegen haben. Die sogenannte "Gläserne Decke" bleibt eine unsichtbare, aber spürbare Barriere.
Männer: Männer steigen durch gesellschaftliche und berufliche Netzwerke oft schneller in Führungspositionen auf. Dies führt zu einer strukturellen Überrepräsentation von Männern in entscheidenden Machtpositionen.
Beziehungen als Ausgleich: Eine Gender-sensitive Perspektive
Beziehungen – sei es zu anderen oder zu sich selbst – spielen eine wichtige Rolle für Lebenszufriedenheit. Die Herausforderung besteht darin, berufliche und private Ziele in Einklang zu bringen.
Für Frauen: Frauen tragen oft die Hauptlast der Care-Arbeit, was die Pflege von Beziehungen und die berufliche Entwicklung gleichzeitig erschwert. Eine gleichmäßigere Verteilung von Aufgaben in Partnerschaften kann hier entlastend wirken.
Für Männer: Männer, die ihre Rolle in Beziehungen und Familien stärker ausfüllen möchten, stoßen oft auf gesellschaftliche Erwartungen, die sie auf die Rolle des Hauptverdieners reduzieren. Diese Rollenmuster zu durchbrechen, erfordert Mut und Unterstützung.
Die Balance zwischen Karriere, Beziehung und gesellschaftlichen Normen
Die Studie von Judge und Kammeyer-Mueller zeigt: Ambition kann beruflichen Erfolg fördern, aber nicht unbedingt Glück garantieren. Dies gilt umso mehr, wenn Gender-unabhängige, strukturelle Herausforderungen wie die Vereinbarkeit von Karriere und Familie hinzukommen.
Ein ausgewogenes Leben setzt voraus, dass wir:
Beziehungen zu uns selbst und anderen stärken: Soziale Unterstützung und Selbstfürsorge sind ebenso wichtig wie berufliche Ziele.
Strukturelle Ungleichheiten abbauen: Faire Bezahlung, flexible Arbeitszeitmodelle und gleiche Karrierechancen sind entscheidend.
Uns von äußeren Zwängen lösen: Lebensglück entsteht weniger durch äußeren Erfolg als durch innere Zufriedenheit.
Fazit: Der Weg zu einem erfüllten Leben
Beziehung oder Karriere? Diese Frage ist nicht mit einem einfachen „entweder-oder“ zu beantworten. Die Herausforderung liegt darin, Ambitionen und Beziehungen in Einklang zu bringen, ohne sich den gesellschaftlichen Zwängen vollständig zu unterwerfen. Für Frauen und Männer bedeutet dies, individuelle Prioritäten zu setzen und gleichzeitig für eine gerechtere Gesellschaft einzutreten. Mit Vertrauen in die eigene Stärke und einem offenen Blick auf neue Möglichkeiten können wir eine Balance finden, die uns langfristig glücklich macht.
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